Automatisiertes Fahren – mind off?

Nahezu zeitgleich erreichen Anfang Juli zwei interessante Meldungen aus der Automobilbranche die Öffentlichkeit: Während BMW, Intel und Mobileye ankündigen, gemeinsam bis spätestens 2021 selbstfahrende Fahrzeuge in Serie auf die Straße zu bringen (http://www.handelsblatt.com/) muss Tesla über einen tödlichen Unfall eines seiner automatisiert fahrenden Fahrzeuge berichten ( http://www.faz.net/aktuell).  

Es drängt sich die zentrale Frage auf: Ist automatisiertes bzw. autonomes Fahren nun sicher oder nicht? War Tesla mutig oder eher übermütig so schnell einen sogenannten Autopiloten in Serie anzubieten? Sind die deutschen Automobilhersteller und -zulieferer schlicht zu ängstlich und zu langsam oder setzen sie Innovation einfach solider und zuverlässiger um? Wie so oft sollte man vor einem Urteil zunächst einmal genau hinsehen und die Dinge sauber differenzieren. In keinem Bereich werden derzeit die Begrifflichkeiten so wild durcheinandergewürfelt wie im Megatrend Automatisiertes Fahren: (teil-/hoch- /voll)automatisiert, (teil-/hoch-/voll)autonom, selbstfahrend, Level 1-5 etc.

Automatisierung
Hier der Versuch einer Abgrenzung: Semantisch passend ist der Begriff Automatisierung, siehe Wikipedia: "Automatisierung ist die mit Hilfe von Maschinen realisierte Übertragung von Arbeit vom Menschen auf Automaten"; alternative Definition siehe DIN: "Automatisierung ist nach DIN V 19233 das Ausrüsten einer Einrichtung, so dass sie ganz oder teilweise ohne Mitwirkung des Menschen bestimmungsgemäß arbeitet." (https://de.wikipedia.org/wiki/Automatisierung)

Automatisierungsgrade
Weiterhin zu unterscheiden sind die Automatisierungsgrade von Fahrzeugen. Hier liefert die SAE (SAE International, ehemalige Bezeichnung Society of Automotive Engineers (dt.: Verband der Automobilingenieure)) mit sechs Leveln eine sehr gute und branchenweit akzeptierte Gliederung: Level 0 bezeichnet dabei Fahrzeuge ohne jegliche Automatisierung, Steuerung und Umfeldbeobachtung übernimmt immer der Mensch. Über Level 1 "Driver Assistance", Level 2 "Partial Automation" geht es dann bis Level 5 "Full Automation", bei dem der Mensch nur noch Fahrgast ist. (http://www.sae.org/misc/pdfs/automated_driving.pdf)

Autonom
Autonom könnte demnach noch am ehesten für ein Level-5-Fahzeug akzeptiert werden, wobei die Definition der Autonomie als "Zustand der Selbstbestimmung, Unabhängigkeit, Selbstverwaltung oder Entscheidungsfreiheit" (https://de.wikipedia.org/wiki/Autonomie) wohl weniger passend für ein Automobil und am ehesten noch akzeptabel ist für die "poeple mover", wie sie Google derzeit für urbane Räume erprobt.

Deckungsgleich aber weit anschaulicher als die SAE-Level ist die Formulierung, die BMW bei seiner o.g. Pressemeldung nutzt: Automatisierte Fahrzeuge erlauben es je nach Ausbaustufe nicht nur die Hände vom Lenkrad zu nehmen ("hands off"), sondern auch die Augen ("eyes off") und schließlich die Aufmerksamkeit ("mind off") vom Verkehr abzuwenden. Die letzte Stufe wäre in dieser Terminologie dann die Abwesenheit des Fahrers ("driver off").

Was leistet Teslas "Autopilot" wirklich?

Nach SAE sind Teslas Fahrzeuge in Level 2 einzustufen: "Partial Automation" – das System steuert, bremst und beschleunigt gemäß seiner eigenen Umfeldsensorik, der Mensch überwacht und ist Fallback für den Fall, dass das System nicht weiterkommt.

Suggeriert der von Tesla verwendete Begriff Autopilot aber nicht viel mehr als das? Schafft er nicht eine viel weitergehende Erwartungshaltung?

Tesla selbst kommunizierte, dass "das sogenannte "Autopilot-System" des Model S noch in der Beta-Phase sei. Wer es einsetze, werde aufgefordert, mit den Händen am Steuer zu bleiben und die Kontrolle über das Fahrzeug niemals abzugeben." ( http://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/autopilot-zweiter-unfall-mit-tesla-autopilot) Wie ist es vor diesem Hintergrund dann zu verantworten, dass das System es zulässt, dass die Fahrer über lange Zeiträume die Hände vom Lenkrad nehmen können, ohne dass sie aktiv gewarnt werden, wie es zahlreiche Youtube-Videos zeigen?

Man kann Tesla sicher vorwerfen, dass es mehr als forsch ist, ein System dieses Entwicklungsstands bereits zu verkaufen. Entscheidend ist jedoch, dass es quasi unter Vorspiegelung falscher Tatsachen geschieht und versäumt wird, die Kunden deutlich und klar die tatsächliche Leistungsfähigkeit zu vermitteln und zwar nicht nur im Handbuch, sondern auch bei der Nutzung.

Und wie geht es nun weiter mit dem Automatisierten Fahren?

Entscheidend ist dabei, dass Systeme erst dann auf den Markt gebracht werden, wenn sie das Höchstmaß an Sicherheit bieten und ehrlich vermarktet werden. Und, wenn es Politik und Gesetzgebung rechtzeitig schaffen, die entsprechenden Rahmenbedingungen zu setzen. Verschiedene Forschungsprojekte deutscher Automobilhersteller und -zulieferer zu den offenen Fragen laufen (z.B. Pegasus (http://www.bmwi.de/DE/Presse/) , Ko-HAF (www.ko-haf.de), Testfelder für Autobahnen und urbane Räume entstehen.

Der Tesla-Unfall – und weitere Unfälle automatisierter Fahrzeuge, die geschehen werden – werden die Entwicklung nicht stoppen. Kunden werden zunächst verunsichert sein und genauer hinschauen, letztendlich aber werden sich die Vorteile dieser Innovation im Zusammenspiel mit der Gesamtentwicklung der Mobilitätsanforderungen der Menschen durchsetzen.

Autor: Sebastian Krug, Projektleiter, ZENTEC GmbH